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Freitag, 19. Februar 2021

"Viel-Kläger-Gebühr" in sozialgerichtlichen Verfahren

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich ganz klar gegen eine sogenannte "Viel-Kläger-Gebühr" in sozialgerichtlichen Verfahren ausgesprochen.

Hintergrund ist der Antrag des Landes Hessen in Bundesrat, dass diejenigen, die innerhalb von zehn Jahren zehn Verfahren und mehr vor dem Sozialgericht angestrengt haben, eine besondere Verfahrensgebühr in ansonsten gerichtskostenfreien Verfahren zahlen sollen.

Der Vorsitzende des Ausschusses Sozialrecht im DAV, Prof. Dr. Hermann Plagemann, weist ausdrücklich darauf hin, dass gerade im Bereich der Grundsicherung und auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, etwa bei Erstattung von wiederkehrenden Behandlungskosten, zehn Verfahren in zehn Jahren keine Seltenheit sind und dies keineswegs Rückschlüsse auf einen etwaigen Rechtsmissbrauch zulassen. Er sieht wie viele Anwältinnen und Anwälte, zu denen auch unsere Kanzlei zählt, die Gefahr, dass Bürgerinnen und Bürger abgeschreckt werden, überhaupt den Klageweg einzuschlagen. Dies ist jedoch gerade im Bereich der existenziellen Grundsicherung nicht mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz vereinbar.

Wir werden die Entwicklung weiterhin für Sie im Auge behalten und hier darüber berichten.

Ihre Fachanwälte für Sozialrecht

Kanzlei Störmer & Hiesserich

Freitag, 12. Februar 2021

FFP2-Masken für Hart-IV-Empfänger

Das Sozialgericht Karlsruhe hat nun in einem Eilverfahren entschieden, dass das dort beklagte Jobcenter entweder als Sachleistung wöchentlich 20 FFP2-Masken verschicken oder als Geldleistung monatlich weitere 129,- € zahlen muss (Beschluss vom 11.02.2021, Az. S 12 AS 213/21 ER).

In dem Verfahren wurde ein besonderer Mehrbedarf in entsprechender Zahl bzw. Höhe geltend gemacht.

Das Sozialgericht wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass Arbeitsuchende nach drei Monaten Lockdown wieder in einer dem sozialen Existenzminimum entsprechenden Art und Weise am Gemeinschaftsleben teilnehmen können müssen. Ein Verweis auf Alltags- oder OP-Masken sei nicht zulässig. Diese seien für einen umfassenden Schutz vor SARS-Cov-2-haltigen Aerosolen im üblichen sozialen Umfeld wie etwa im Supermarkt, im ÖPNV oder auch in Wartezimmern nicht gut genug geeignet. Wer bei alltäglichen Verrichtungen lediglich eine OP-Maske trage und so Mitmenschen mit dem lebensgefährlichen Virus anstecke, verstoße gegen das gesetzliche Verbot gefährlicher Körperverletzungen. Die Anerkennung individueller Mehrbedarfe diene daher nicht nur der Befriedigung privater Bedürfnisse, sondern dem Schutz der Allgemeinheit vor Verbreitung des Virus.

Der Kammerbeschluss ist rechtskräftig.

Der Autor Stephan Störmer ist Fachanwalt für Sozialrecht und für Strafrecht.


Donnerstag, 14. Januar 2021

Anerkennung von Covid-19-Erkrankungen als Berufskrankheit

Bei Personen, die im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig sind, ist die Anerkennung von Covid-19 als Berufskrankheit möglich. Das hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) festgestellt.

Nr. 3101 Anl. 1 zur BKV ("Infektionskrankheiten") schließt auch die Erkrankung an Covid-19 ein.

Außerhalb der genannten Bereiche kann Covid-19 als Berufskrankheit nur anerkannt werden, wenn ein mit diesen Tätigkeiten vergleichbar hohes Risiko bestanden hat, das sich in entsprechend hohen Erkrankungszahlen auf eine Branche niedergeschlagen hat. Eine Gefährdung in einzelnen Betrieben reicht nicht aus. Allerdings kommt dann eine Anerkennung als Arbeitsunfall in Betracht.

Für die Frage, ob ein Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung vorliegt, ist die Schwere der Erkrankung nicht ausschlaggebend.

Quelle: Newsletter des BMAS vom 7. Januar 2021


Rechtsanwalt Störmer ist für Ihre Fragen auf dem Gebiet des Sozialrechts gern für Sie ansprechbar. Außerdem ist er als Strafverteidiger tätig.

Dienstag, 5. Januar 2021

Oberarmstraffung als Kassenleistung

Eine beidseitige Oberarmstraffung kann im Ausnahmefall von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu übernehmen sein. Voraussetzung ist allerdings, dass eine entstellende Wirkung des Erscheinungsbildes vorliegt, so das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in einer jetzt veröffentlichten Entscheidung vom 17.11.2020 (Az. L 16 KR 143/18).

Häufig wird in der Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Normabweichungen vorrangig zu tolerieren sind und Korrekturen im Sinne von Kosmetik eigenverantwortlich durchzuführen sind. Entstellung werden insofern nur selten festgestellt.

In vorliegenden Fall hatte die 58-jährige Klägerin nach einer Schlauchmagen-OP ca. 50 kg an Gewicht verloren. Dennoch verblieb eine Fettverteilungsstörung mit massivem Hautüberschuss im Bereich der Oberarme, so dass trotz unauffälliger, weitgeschnittener und lockerer Alltagskleidung diese im Bereich der Oberarme sehr eng an lag, währen sie sich im Bereich der Unterarme bewegte "wie eine Fahne im Wind". Die Ellenbogen wurden von einem eiförmigen, voluminösen Gewebeüberhang deutlich überdeckt.

Die im Verfahren herangezogenen Gutachter konnten den Zustand der Oberarme nicht als Krankheit im medizinischen Sinne bewerten. Das Landessozialgericht hat sich daraufhin auf die persönliche In-Augenschein-Nahme der Klägerin gestützt und eine massive Asymmetrie ihres Erscheinungsbildes festgestellt. Die körperliche Auffälligkeit sei von einer solchen Ausprägung, dass sie sich schon in Alltagssituationen bei flüchtiger Begegnung bemerkbar mache und regelmäßig zur Fixierung des Interesses auf die Betroffene führe. Daher sei liege im Fall der Klägerin eine Entstellung vor, die zu Lasten der Beklagten Krankenkasse zu behandeln war.


Ihre Ansprechpartner im Bereich des Sozialrechts:

Fachanwälte für Sozialrecht Stephan Störmer und Viola Hiesserich